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Meine Bühne

Meine Familie ist mein Leben, die Wiener Staatsoper meine Heimat.

Die Welt ist umgedreht. Die Realität auf den Kopf gestellt. Den Körpermittelpunkt verlegt. Bevor ich als Solist mit einem Orchester die Bühne betrete mache ich fünf Minuten vor meinem Auftritt einen Kopfstand. Es ist meine ganz persönliche Hommage an Yehudi Menuhin, einen der ganz berühmten Geiger des 20. Jahrhunderts. Doch nicht nur das: es bringt mir auch körperlich etwas, denn es bringt mich runter. Die verkehrte Welt fokussiert mich noch mehr auf den Moment bevor ich rausgehe und auf der Bühne beginne zu Spielen.

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Bühne zwischen Lieblingsort und Heimatgefühl

In meiner Karriere habe ich schon an sehr, sehr vielen Orten gespielt. Und so zahlreich sind auch die Orte meines Kopfstandes davor: Ob ein Klassenzimmer in Ungarn, der Kreuzgang eines Klosters in Italien, wunderbare Garderoben in Mexiko, Japan oder China. Es waren auch absurd winzige Räume dabei, Tempel oder auch ältere Häuser, die oft nicht einmal eine Garderobe hatten. Dort ziehst du dich halt mal auf dem Flur um, das sind Erfahrungen, die man im Laufe der Karriere - gerade in jungen Jahren - auch mal macht. Überhaupt haben aber alle Orte ihren Reiz, viele haben eine gewisse Magie und oftmals bleiben sie mir unisono in wunderbarer Erinnerung. Doch es gibt Bühnen auf dieser Welt, die sind mir persönlich näher als andere.

Die Wiener Staatsoper, das sogenannte „Erste Haus am Ring“, das ist mein Ort. Natürlich, meine Familie ist mein Leben, die Wiener Staatsoper ist hingegen meine Heimat. Hier darf ich spielen, hier darf ich meiner Kunst nachgehen. Das ist einfach eine Wucht. Musikalisch würde ich wirklich alles andere stehen lassen, bevor ich die Wiener Staatsoper stehen lasse. Es ist mein absolutes Lieblingshaus und ich finde es ausschließlich großartig. Auch das Gebäude der Staatsoper ist so groß, so mächtig und selbst wenn man sich schon gut darin auskennt, es gibt stets etwas Neues zu Entdecken. Räume, Abteilungen und vieles mehr - es ist einfach ein riesengroßes Haus mit einer, für mich persönlich auch, unvergleichlichen Geschichte. Und ich gehe da so gerne hin.

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Ein weitere ganz spezieller Ort ist der Goldene Saal im Wiener Musikverein. Ich schätze ihn sehr wegen seiner Historie - und da ich mit den Wiener Philharmonikern auch so viel darin spiele. Es hat einen großen Vorteil, abgesehen davon, dass er ein schöner Saal mit unglaublicher Geschichte ist, dass es ein Tageslichtsaal ist - und davon gibt es nicht mehr so viele auf der Welt. Das macht die Sonntagsvormittagskonzerte um elf Uhr mit der Sonneneinstrahlung zu einem wahren Naturschauspiel. Da gab es schon oft die irrwitzigsten Momente, wenn auf einmal Licht einfällt und szenisch die Musik auf ganz sinnige Art untermalt. Der Saal ist einzigartig, mit einer unvergleichlichen Akustik und daher auch für uns Philharmoniker sehr besonders.

Löse ich den Blick weg von meinen persönlichen Heimathäusern, dann hat vor allem die Carnegie Hall in New York eine ungeheure Kraft. Diese tolle Akustik vor Ort in einer schier wirkmächtigen Stadt bleibt mir sehr in Erinnerung. Damit verbinde ich zahlreiche schöne Abende und viele unvergleichliche Konzerte. Ebenso sehr fasziniert mich die Boston Symphony Hall. Es ist ein großer Musikverein in einer wahnsinnig tollen Stadt. Dort muss ich unbedingt auch noch einmal hin.

Was mich in der jüngeren Vergangenheit auf ganz neue Art in den Bann gezogen hat, war die Ark Hall im Tokorozawa MUSE im Großraum Tokio. In der Metropole kenne ich mich schon gut aus, ich war oft dort und habe neben der berühmten Suntory Hall in vielen Sälen gespielt. Doch nie zuvor habe ich für Kammermusik einen solchen Saal betreten - das ist jetzt MEIN Saal in Japan. Dort habe ich vor dem Recital das ganze Programm komplett durchgespielt, nur um die Akustik zu spüren, ich wollte es für mich aufsaugen. Für mich war sofort klar: Da will ich wider hin, da will ich etwas machen, da will ich etwas aufnehmen. Von einem Saal war ich nie so fasziniert und beeindruckt, wie von der Muse. Ich habe nie zuvor eine so tolle Akustik für Flöte und Klavier in einem großen Saal erlebt, wie dort. Dieses Gefühl mit einem Ort verbinden zu können, ist wirklich etwas sehr Schönes.

Was der Raum zurückbringt - eine Wand des Willens und der Entschlossen­heit

Doch bei allem Blick auf die großen, einzigartigen Häuser dieser Welt lohnt sich auch nochmal eine Rückbesinnung darauf, was für mich als Künstler und Musikschaffender eine Bühne einzigartig und gut macht: Bei uns ist essentiell, was der Raum zurückbringt und welches Raumgefühl dadurch entsteht.

Alle Orte sind unterschiedlich, klar, aber das Gefühl, das der Raum einem gibt, ist genau das akustische Phänomen, was wir benötigen, wonach wir streben und was der Raum letztlich so unverwechselbar macht. Für mich ist wichtig, dass das Verhältnis, was für einen Ton ich produziere und was wieder zurückkommt, sehr angenehm ist.

Die Ewigkeit ist unverrückbar und hat nicht die Flüchtigkeit der Augenblicke, die wir so in unserer Musik schätzen.

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Wenn Publikum im Raum ist, spürt man auch die Emotion der Leute. Aber im Endeffekt geht es darum, dass das Verhältnis stimmen muss. Es geht darum, dass zwischen Klanggeben, -empfinden, -wahrnehmen zu dem sich selbst Spüren, das ist, was für die Akustik ausschlaggebend ist und sie ausmacht. Bei großen Sälen ist das oft ganz schwierig. Sie sind meist für Orchester gut geeignet, aber zu weit ist man entweder zu klein oder wirkt verloren - es ist selten so, dass große Säle toll funktionieren für Kammermusik. Die Tokorozawa Muse mit ihren 2.000 Plätzen war hingegen faszinierend anders und ist mir deshalb so nachdrücklich in Erinnerung geblieben.

Architek­tonische Klangwelten

Man hat sofort ein Raumgefühl, wenn man eine Bühne betritt. Man hat sofort eine Emotion - positiv wie negativ. Das Raumgefühl kann dabei aber auch sehr speziell sein.

Apropos in Erinnerung geblieben: Darf ich Ihnen etwas verraten? In der Elbphilharmonie klingt es so, wie es ausschaut: anders. Architektonisch ist es innen wirklich beeindruckend - es gibt nicht viele Säle der Welt, die mithalten können mit den optischen Besonderheiten. Wenn man darin allerdings spielt, merkt man, dass diese vielschichtigen Strukturen, die vielleicht etwas kompliziert aussehen, auch genauso klingen. Der Raum ist nicht leicht zu bespielen. Man hört sehr klar und präzise, der Raum verzeiht nichts, man nimmt schlichtweg alles wahr. Jede Kleinigkeit ist transparent hörbar, und das ist nicht immer ganz günstig.

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Die Hamburger Elbphilharmonie ist etwas norddeutsch und sehr „straight“ im Klang - weniger Wärme und Geborgenheit - er fordert einen heraus, als wolle er sagen: Na, wollen wir mal schauen, ob Du das auch kannst?!

Dazu fällt mir eine Anekdote ein: Ich hörte einmal bei einer Anspielprobe dem Orchester aus dem Zuschauerraum zu und bemerkte sogleich, wie präzise die Akustik ist. Wenn ich wollte, konnte ich leicht alle Instrumente einzeln orten! Das ist sehr besonders an diesem Ort, denn normalerweise ist das im Gesamtklang eines Saales so nicht gegeben. Als ich dann selbst spielte, hustete mitten im Konzert jemand im obersten Rang und ich wusste sofort wer es war - ich konnte es exakt orten. Es funktioniert witzigerweise also in beide Richtungen, „dank“ einen sehr genauen, weil präzisen Akustik. Ich mag das.

Ein Privileg & dennoch anders

Oft geht mir durch den Kopf, wie das Musizieren und Auftreten während der Pandemie sich verändert hat. Zunächst sind wir uns alle sehr bewusst, was für ein Privileg es ist, unserer Kunst nachkommen zu dürfen. In der jetzigen Zeit ohnehin, aber auch schon vor der Pandemie war es ein großes Gut, denn wir dürfen in der Oper oder als Philharmoniker:innen eigentlich nahezu immer vor vollen Häusern spielen. Andere Orchester und Ensembles kennen das oft anders.

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Während der Pandemie spielten auch wir natürlich vor leeren Häusern - aber die Wiener Staatsoper und die Wiener Philharmoniker waren dabei weltweit Vorreiter. Mir großem Aufwand wurden alle gesetzlichen Auflagen erfüllt und wir konnten unsere Kunst ohne Abstand unter den Musiker:innen darbieten. Oft spielten wir nur für die Kameras, manchmal für ganz wenige Zuhörer:innen. Wir wussten aber um die Wichtigkeit, dass wir versuchen unser Publikum irgendwie zu erreichen. Dass das gelungen ist, erfüllt mich im Nachhinein immer noch mit großer Freude…

Erlauben Sie mir an dieser Stelle zu sagen: Andere – und dem bin ich mir sehr bewusst – hat dieses Privileg leider nicht. Sie haben mitunter bis heute nicht die Möglichkeit ihrer Kunst nachzukommen und mit den Folgen davon zu kämpfen.

Aber: die Musik, wie jede andere Kunst auch, lebt von der Interaktion. Kunst existiert nur durch den Anderen. Kunst entsteht nicht weil ich einen Ton spiele – das interessiert herzlich wenig. Aber wenn jemand da ist, der mit dem Ton etwas anfangen kann, mit dem ich etwas auslöse – positiv, wie negativ – , das ist der Punkt an dem Kunst entsteht und wo Kunst überhaupt erst ihre Berechtigung hat – und zwar nur durch das Gegenüber. Das Entstehen der Kunst bedingt den Anderen.

Lehre: Bühne als ein Ort zum Wohlfühlen muss gelernt sein.

Für meine Studierenden ist das Thema Bühne und Auftritt auch wichtig in ihrem musikalischen und künstlerischen Entwicklungsprozess. Bühne ist Bühne und Leben ist Leben. Die Bühne ist Auftritt und Prozess zugleich, denn jeder Auftritt ist anders und man hofft stets, dass es gut geht. All das muss man lernen. Da gibt es Talente, die vieles automatisch beherrschen und dann Studierende, denen es schwerer fällt, gewissen Grundparametern zu folgen und diese zu lernen.

Es stellen sich im Umgang mit dem Auftritt ganz unterschiedliche Fragen. Wie verhält man sich auf der Bühne? Was ist gut? Was schlecht? Aber auch: Was gebe ich von mir preis und wie will ich wahrgenommen werden? Wie will ich rüberkommen?

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All das sind Sachen, die jede:r für sich klären muss. Bei mir war das noch Learning by Doing. Für meine Studierenden kann man heute da schon viel machen. Wir üben das sich bei Klassenabenden, Auftrittscoaching und Schauspielunterricht. Und es beginnt mit der Fragestellung. Wie betrete ich einen Raum?

Generelle gilt aber, dass die Bühne im Idealfall ein Ort zum Wohlfühlen ist. Wenn ich schon einmal draußen bin, ist es immer auch toll und etwas Besonderes: daher auch der Kopfstand als Solist. Die Bühne ist und bleibt immer Bühne, ein Ort des Besonderes. Das jedes Mal aufs Neue zu erleben und erleben zu dürfen ist ein besonderer Reiz für mich und meine Kunst.